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Nach 20 Jahren schließt sich ein Kapitel europäischer Motorradgeschichte. Der Club of Newchurch verabschiedete sich vom 15. bis 22. Juni 2025 mit einer Final Edition, die nochmal alles rausholt, was dieses einzigartige Festival ausmacht. Ich war vor Ort und das hier ist die Geschichte eines Abschieds, der gleichzeitig Feier und Wehmut war.
Die DNA eines außergewöhnlichen Events
Um zu verstehen, warum der Club of Newchurch so besonders war, muss man seine Entstehung kennen. Uli Brée, der Visionär hinter dem Event, wollte nie ein weiteres 08/15-Bikertreffen. Seine Vision: Ein Festival für alle Generationen, ohne Macho-Gehabe, ohne Kommerz-Overkill, dafür mit echter Leidenschaft fürs Motorradfahren.
Was 1999 als kleine Triumph-Zusammenkunft begann, entwickelte sich über zwei Jahrzehnte zu einem der authentischsten Motorradevents Europas. Zehn Jahre Tridays, zehn Jahre Club of Newchurch. Eine Evolution, die zeigt, wie aus einer Idee eine Institution werden kann.
Neukirchen: Wenn ein Dorf zur Motorrad-Metropole wird
Die Location macht den Unterschied. Neukirchen am Großvenediger verwandelt sich für eine Woche in eine autofreie Zone. Nur Motorräder rollen durch die Gassen des Skiorts. 15.000 Biker aus ganz Europa übernehmen das Kommando, und plötzlich ist das Motorrad das normalste Fortbewegungsmittel der Welt. Selbst für die 200 Meter zum Supermarkt schwingt man sich auf die Maschine.
Diese einzigartige Atmosphäre entsteht nicht zufällig. Die Helmpflicht ist im Ort ausgesetzt, was zu einem entspannten Miteinander führt. Man sieht Gesichter, nicht nur Helme. Man redet miteinander, nicht nur übereinander. Und die spektakuläre Alpenkulisse tut ihr Übriges.
Royal Enfield: Moderne trifft Tradition
Während etablierte Marken oft mit bekanntem Programm anreisen, nutzte Royal Enfield die Final Edition für ein beeindruckendes Statement. Der indische Hersteller, der in den letzten Jahren massiv an Fahrt aufgenommen hat, präsentierte nicht nur seine Klassiker-Linie, sondern die komplette Range moderner Motorräder.
Die Classic 350 und Meteor 350 standen für alle bereit, die das traditionelle Royal Enfield-Feeling suchen. Aber der eigentliche Hingucker war die neue Generation: Die Bear 650 beweist, dass Royal Enfield auch anders kann. Mit modernem Twin-Motor, zeitgemäßer Technik und einem Design, das Retro-Charme mit Contemporary-Style verbindet. Die Guerrilla 450 zeigt, wohin die Reise geht: Urban, aggressiv, anders.
Das Testfahrt-Konzept des Club of Newchurch ist dabei unschlagbar: Eine Anmeldung genügte, um Zugang zu über 60 Motorrädern verschiedenster Hersteller zu bekommen. Keine Zeitlimits, keine nervigen Verkaufspitches. Einfach fahren und erleben. Royal Enfield nutzte diese Chance perfekt, um Skeptiker zu überzeugen und Fans zu begeistern.
Geführte Touren: Die Alpen von ihrer besten Seite
Was viele Festivals vernachlässigen, macht der Club of Newchurch zur Perfektion: geführte Touren durch eine der schönsten Motorradregionen Europas. Von Montag bis Samstag führen ortskundige Guides kleine Gruppen über Pässe und durch Täler, die man allein vielleicht nie entdeckt hätte.
Die Routen sind dabei so vielfältig wie die Teilnehmer: Von entspannten Genusstouren für Cruiser-Fahrer bis zu sportlichen Alpenrunden für die Knieschleifer-Fraktion. Besonders beliebt: Die Touren nach Italien, wo neben spektakulären Straßen auch die Espresso-Pause nie zu kurz kommt.
LSL’s spektakulärer Abschied: Bear 650 goes Supermoto
Ein emotionaler Höhepunkt der Final Edition war die Enthüllung des letzten Custom-Projekts von Jochen Schmitz-Linkweiler. Der LSL-Gründer, der über Jahre die Custom-Szene des Festivals prägte, verabschiedete sich mit einem Knaller: Eine Royal Enfield Bear 650, komplett zum Supermoto umgebaut.
Die Live-Enthüllung auf der Hauptbühne war mehr als nur eine Produktpräsentation – es war die Würdigung eines Mannes, der die deutsche Custom-Szene maßgeblich geprägt hat.
„24 Minutes of Le Brée“: Rennsport mit Augenzwinkern
Das Rokker Race, liebevoll „24 Minutes of Le Brée“ getauft, ist seit Jahren der Kult-Event im Event. Acht Teams treten mit selbstgebauten oder modifizierten Motorrädern an und das Reglement ist so locker wie die Atmosphäre entspannt.
2025 stand unter dem Motto „BE UNIQUE“, und die Teams nahmen das wörtlich. Von umgebauten Mofas über getunte Naked Bikes bis zu waghalsigen Eigenkonstruktionen war alles am Start. Der LeMans-Start, bei dem die Fahrer zu ihren Maschinen rennen müssen, sorgt jedes Jahr für chaotische und unterhaltsame Momente.
Was als Spaß-Event begann, hat mittlerweile Wettkampfcharakter, aber immer mit einem Augenzwinkern. Die Sieger bekommen Ruhm, Ehre und natürlich den begehrten Pokal. Die Verlierer? Die hatten trotzdem den Spaß ihres Lebens.
Musik für die Ewigkeit: Jimmy Cornett’s Finale
Wenn eine Band 20 Jahre lang Teil eines Festivals ist, dann ist das mehr als nur Unterhaltung, es ist Familie. Jimmy Cornett & the Deadmen spielten ihr letztes Konzert beim Club of Newchurch, und die Emotionen waren greifbar. Die Entscheidung, diesen Auftritt live aufzunehmen und auf Vinyl zu pressen, zeigt die Bedeutung dieses Moments.
Das Line-up der Final Edition las sich wie das Best-of der vergangenen Jahre: Markus Linder, The Hillbilly Moon Explosion, Igel vs Shark und viele mehr. Jede Band brachte ihre eigene Geschichte mit, ihre eigene Verbindung zum Festival.
Custom-Kultur: Mehr als nur Blech biegen
Die Customizer-Area hat sich über die Jahre zu einem Festival im Festival entwickelt. 2025 präsentierten sich die Crème de la Crème der europäischen Szene: Vagabund Moto mit ihren minimalistischen Kunstwerken, BeUnique mit wilden Kreationen, Blechmann mit traditionellem Handwerk, Titan Motorcycles mit High-End-Umbauten.
Das Besondere: Hier stehen keine Bikes hinter Absperrungen. Die Erbauer sind vor Ort, erklären ihre Philosophie, teilen ihr Wissen. Es entstehen Gespräche, Freundschaften, Inspirationen. Manch einer kommt mit einer Idee und geht mit einem konkreten Projekt-Plan nach Hause.
Dealers Boulevard: Shopping mit Sinn
Der Händlerbereich ist weit entfernt von den üblichen Kramständen anderer Festivals. Hier findet man gezielt ausgewählte Anbieter, die zur Philosophie des Events passen. Von hochwertiger Schutzausrüstung über handgefertigte Lederwaren bis zu technischen Gimmicks, alles mit Fokus auf Qualität statt Quantität.
2026: Ein neues Kapitel beginnt
Mit dem angekündigten „Summit“ für 2026 steht bereits der Nachfolger in den Startlöchern. 1000PS.at als neuer Partner bringt frischen Wind und verspricht „mehr von allem“. Ob das neue Format den Spirit des Club of Newchurch einfangen kann, bleibt abzuwarten. Die Messlatte liegt jedenfalls verdammt hoch.











Fazit: Mehr als nur ein Festival
Der Club of Newchurch war nie nur eine Veranstaltung. Es war eine Lebenseinstellung. Ein Ort, an dem Motorradfahren in seiner reinsten Form zelebriert wurde. Ohne Kommerz-Wahnsinn, ohne Poser-Gehabe, dafür mit echter Leidenschaft und authentischer Community.
Die Final Edition hat bewiesen, dass manche Dinge nicht kopierbar sind. Die Mischung aus Location, Menschen und Philosophie machte dieses Event einzigartig. Wer dabei war, wird die Geschichten ein Leben lang erzählen. Wer es verpasst hat, dem bleibt nur die Hoffnung, dass der Summit 2026 zumindest einen Teil dieser Magie bewahren kann.
Royal Enfield hat mit seinem Auftritt gezeigt, wie moderne Motorradkultur aussehen kann: Zugänglich, authentisch, ohne Dünkel. Die Bear 650 als Basis für LSLs finales Meisterwerk war dabei mehr als nur Zufall, es war ein Statement für eine neue Generation von Motorrädern und Fahrern.
Uli Brée und sein Team haben mit dem Club of Newchurch Maßstäbe gesetzt. Nach 20 Jahren ist Schluss, aber die Erinnerungen bleiben. Und wer weiß, vielleicht war es genau der richtige Zeitpunkt, um als Legende in die Geschichte einzugehen.
Ride on, ihr Verrückten. Der Club ist tot, es lebe der Club!
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